Rebelodrom ist der Name für ein Aktionslabor (in- und outdoor, bzw. im Netz) das melodramatische Interventionen in spezifischen öffentlichen und politischen Handlungsräumen in Wien entwickelt und realisiert.
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Freedom of Speech

Redefreiheit heißt auch, Kritik nicht zu verschweigen und – ganz im Sinne des Open Source Tool to create Insurrection – freien Zugang zu ihr ermöglichen.

In diesem Fall geht es um den Umgang mit dem Fall Assange; dazu hier ein Offener Brief der Basisgruppe Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Uni Wien an die Künstlerische Leitung des brut Wien. Hier geht es zur Liste der MitunterzeichnerInnen
 
Triggerwarnung: Dieser Text handelt von sexualisierter Gewalt und deren künstlerisch/medialer Verharmlosung.

Als Basisgruppe Theater-, Film- und Medienwissenschaft sehen wir es u.a. als unsere Aufgabe an, zu bedenklichen Vorgängen im Theaterbereich Stellung zu beziehen. Das wollen wir in weiterer Folge, in der Hoffnung, dass diese Kritik aufgenommen wird, tun.

Wir sind einigermaßen erschrocken, als wir im Wiener Stadtbild massenhaft „brut“-Plakate entdeckten, auf denen Julian Assange und Che Guevara nebeneinander abgebildet und in den Kontext der Debatte um Freiheit im Internet gestellt wurden. Ließen die Plakate noch unterschiedliche Interpretationen offen, stellt sich das bei dem in der Reihe „Freedom of Speech“ geplanten Projekt „Assassinate Assange“, das im September in Hamburg uraufgeführt wurde und Mitte Oktober in Wien gezeigt werden soll, anders dar.

Es geht uns mit diesem Text ausdrücklich nicht darum Wikileaks zu de-legitimieren. Die Enthüllungsplattform leistet wichtige Aufklärungsarbeit und hat viele brisante Details einer größeren Medienöffentlichkeit zugänglich gemacht. Kritik an Assange und dem medialen Umgang mit sexualisierter Gewalt muss trotzdem möglich sein, ohne dass sie gleich in eine Verschwörung gegen Wikileaks umgedeutet wird. Jemand, der in einem Bereich wichtige Leistungen erbracht hat, kann trotzdem in einem Anderen verwerflich handeln. Dieser Einsicht sollten sich Medien wie TheatermacherInnen stellen, statt es sich, wie Angela Richter, leicht zu machen und Assange durch Andocken an diverse latent antiamerikanische Verschwörungstheorien zu exkulpieren.

Die bekannten Fakten: Julian Assange ist in Schweden wegen sexueller Nötigung angeklagt. Die Anklage beruht auf den Aussagen von zwei Frauen, die der Polizei von zwei Situationen, bei denen Assange Grenzen überschritten hat, berichteten. Für Assange gilt, einem bürgerlichen Rechtsverständnis folgend, die Unschuldsvermutung, bis ein Urteil gefällt ist. Allerdings entzog sich Assange der schwedischen Justiz und ist auch nach einem für ihn negativ ausgegangenem Auslieferungsverfahren nicht bereit, sich einem Prozess zu stellen. Selbst in der Logik der Unschuldsvermutung stellt sich also die Frage, ob selbige nicht auch irgendwann ein Ablaufdatum hat, wenn sich der mutmaßliche Täter der Justiz gleich zweier Staaten entzieht, indem er sich in der Botschaft eines Drittlandes verschanzt.

Die Unschuldsvermutung für Julian Assange wird für Angela Richter zur Schuldvermutung in Bezug auf die beiden Frauen. Im Ankündigungstext wird in verharmlosender Weise behauptet, zwei schwedische Frauen würden ihm „sexuelle Belästigung“ vorwerfen und Assange sei „jäh über mangelnde Triebkontrolle“ gestolpert. In einem Interview mit der deutschen Zeitung „Der Freitag“ rechtfertigt Richter derartige Aussagen: „Keine der beiden Frauen hat zu irgendeinem Zeitpunkt Nein gesagt. Vergewaltigung ist Sex unter Zwang, das hat hier nicht stattgefunden.“

Damit blendet Richter aus, dass es sich bei sexualisierter Gewalt um extrem traumatisierende Ereignisse handelt und dass viele Betroffene in der konkreten Situation, die oftmals einer Schock-Situation gleicht, nicht fähig sind „Nein“ zu sagen oder sich körperlich zu wehren. Gerade aus diesem Grund gibt es viel Kritik an dem in Deutschland und Österreich vorherrschenden staatlichen Verständnis von sexualisierter Gewalt (vgl. dazu diese Kampagne oder das Zustimmungskonzept, das sich kritisch mit Argumentationen wie „Sie hat nicht Nein gesagt“ auseinandersetzt)

„In was für einer Welt leben wir eigentlich, wenn Assange nicht als Vergewaltiger gilt?“ fragte ein Beitrag, der am 24. August 2012 auf maedchenmannschaft.net veröffentlicht wurde. Wir leben „einer Kultur, in der Kläger*innen, sobald es um sexualisierte Gewalt geht, erstmal unter Generalverdacht stehen, und in der eine*n viel zu oft das Gefühl überkommt, dass es Verbündete nur für Täter*innen gibt“, heißt es weiter.

Richter wundert sich im Interview mit „Der Freitag“, dass es unmöglich gewesen sei

„an die beiden Frauen heranzukommen. Die einzigen überlieferten Worte von ihnen sind die Aussagen gegenüber der schwedischen Polizei. Dieses Material liegt uns vor, damit haben wir bereits geprobt, das hat sehr gut funktioniert. Ein entscheidender Punkt ist ja: Was ist da passiert in Schweden? Mich wundert es, dass kein einziger Reporter diese Protokolle veröffentlicht hat, denn viele Fragen beantworten sich dann von selbst.“

Wenn man sich auf Protokolle bezieht, die ohne Einverständnis der Betroffenen im Internet kursieren, sollte man sie wenigstens nicht so verzerrt wiedergeben, wie Richter das tut. Insofern ist es auch nicht überraschend, dass die Frauen mit einer Theatermacherin, die sich dem Thema derart voreingenommen annähert, nichts zu tun haben wollen.

Aus den genannten Gründen fordern wir euch auf, die feministischen Wurzeln der freien Theaterszene ernst zu nehmen, das Projekt „Assassinate Assange“ abzusagen und zu unserer Kritik öffentlich Stellung zu beziehen.

Mit freundlichen Grüßen,
Basisgruppe Theater-, Film- und Medienwissenschaft

4 Kommentare:

  1. "Redefreiheit heißt auch, Kritik nicht zu verschweigen und – ganz im Sinne des Open Source Tool to create Insurrection – freien Zugang zu ihr ermöglichen."

    aus diesen zeilen lässt sich für mich nicht herauslesen, wie ihr zu dieser vergewaltigunsverharmlosung im brut steht? "freier Zugang" zur information, ok. aber was macht ihr aus der information? welche schlüsse zieht ihr daraus?

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  2. Mich würde ebenfalls interessieren, wie ihr dazu steht. Der Ankündigungstext auf der brut Homepage ist wirklich unfassbar. Die armen Vergewaltiger, die ihre Triebe nicht unter Kontrolle haben und dann "je über mangelnde Triebkontrolle" "stolpern". Da kommt einer echt das Kotzen.

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  3. brut Wien schreibt:
    "Vielen Dank für Eure Hinweise und Kommentare. Eine Stellungnahme der künstlerischen Leiter des brut zum offenen Brief der Basisgruppe Theater-, Film- und Medienwissenschaft findet ihr unter http://www.brut-wien.at/schwarzesbrett/ausschreibungen/de/"

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  4. Liebe TFM Basisgruppe,
    sorry für die späte Antwort, aber ich brauche gerade Zeit zum durchatmen,
    Danke für Eure Initiative, die ich wichtig finde!
    Meiner Meinung (und ich spreche nicht für das Kollektiv) werft ihr tabuisierte Fragen auf, die ich nicht nur beim Fall Assange, sondern auch immer wieder in vielen linken Politkreisen mitbekomme habe: „sie hat nicht nein gesagt“ und ab wann beginnt die Grenzüberschreitung und die sexuelle Nötigung bzw. Gewalt? Ich glaube die meisten Frauen mussten sich diese Frage schon einmal stellen, und es betrifft natürlich auch die sogenannten aufgeklärten emanzipatorischen Kreise.
    Bzgl „Assassinate Assange“ habe ich mich zu wenig in die Materie eingelesen und kenne das Stück von Angela Richter auch nicht, aber die Vorwürfe wiegen schwer. Ich muss ehrlich sagen, dass ich auch nicht viel Lust habe mir das Stück anzuschauen, aber einen Boykottaufruf, finde ich etwas überzogen, ich denke mir, wär´s da nicht produktiver zum Publikumsgespräch zu gehen?

    Wir haben in der Gruppe öfter darüber gesprochen und diskutiert, und auch mit unserer Performance in der brut-nacht versucht ein Statement bzgl „Linken Führern und Safe Sex“ abzugeben. (auch im Bezug zum Plakat). Ich fand den Akündigungstext und auch die Sticker problematisch (und äußerte im brut auch meine Kritik daran)
    Ich unterstütze die Diskussion, die ihr auslösen wollt, aber einen Boykottaufruf sehe ich auch problematisch, es geht doch um Diskussion?
    Solidarische Grüße
    gin müller

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