Rebelodrom ist der Name für ein Aktionslabor (in- und outdoor, bzw. im Netz) das melodramatische Interventionen in spezifischen öffentlichen und politischen Handlungsräumen in Wien entwickelt und realisiert.
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Liebe, Utopie und Rebellion

Das Herz ist eine einsame Jägerin 
Mit Liebe, Utopie und Rebellion in die Zukunft
Von Elisabeth Streit*

Mexico D.F., Anfang August 2012, Laboratorio Arte Alameda: Seit ungefähr einer Woche um 11 Uhr vormittags jeden Tag dasselbe Schauspiel; hier trifft sich eine transkontinentale, illustre Gruppe um das neue Stück Melodrom. The Making of a Rebellious Telenovela einzustudieren.

Nach der letztjährigen Produktion Who shot the Princess? - Boxstop Telenovelas soll zu den Themen Melodram, Postdramatisches Theater, Rebellion, Queer Theory und Telenovelas weitergetüftelt, gefilmt und erörtert werden. Zum zweiten Mal arbeitet Gin/i Müller wieder als Regisseur_in, Flor Edwarda Gurrola, Katia Tirado, und Chris Thaler schlüpfen abermals in die Hauptrollen. Aber halt! Stop!! Rewind!!! Was bisher geschah…Da war doch zuerst Edwarda Gurrolas „eigene“ Erzählung aus heutiger Sicht vom Kinderstar in der Telenovela "La vida en el espejo".

Fast Forward – die Rebellion ist weiblich
In ihrer transnationalen, dreisprachig angelegten Multimediaperformance durchwanderte Flor Edwarda Gurrola als eine, in einer Endlosschleife gefangene, immer wiederkehrende Prinzessinnenfigur die Geschichte Mexikos ebenso, wie die von berühmten Diven, Künstlerinnen und Rebellinnen. Immer tiefer schlitterte sie in die tragisch-komischen Geschichten der von ihr dargestellten Figuren, gleichzeitig ihren persönlichen, schauspielerischen Werdegang mitreflektierend. Im ersten Bild durchlebte sie im Märchenwald als lolitahafte Infantin ein Schneewittchen-Déjà-vu. Auf der zweiten Ebene wurde die historische Carlottafigur – die unglückliche Witwe des noch glückloseren, in Mexiko hingerichteten Habsburgers Maximilian „Norma Desmondlike“ (siehe Gloria Swanson in der Schlussszene von Billy Wilders Sunset Boulevard/USA 1950) – einer irrwitzigen Dekonstruktion unterzogen. Im Frida Kahlo Cut-Up überlegte sich die Serienschauspielerin dann noch kurz aus dem ganzen Produktionsstumpfsinn auszusteigen, um endlich in der dritten Verkörperung der Telenovela-Prinzessin die ultimativ-romantische Liebe ihres Lebens in der Gestalt von Comandanta Ur (Katia Tirado) im lakandonischen Urwald zu treffen. Alle drei Handlungsstränge fanden ihr vorläufiges Ende in einer gewaltigen und lautstarken Bombenexplosion. Als Cliffhanger im Telenovela-Abspann gab es noch zusätzlich das übliche „Nachbild“ des glücklichen, am Strand in den Sonnenuntergang reitenden Liebespaares…und die Untoten ziehen immer weiter…

Die subversive Kraft des Melodrams
Obwohl sich das Melodram unter anderem im Frankreich in der Zeit nach der französischen Revolution zu etablieren begann (siehe Peter Brooks und Thomas Elsaesser) und in seinem Ursprung dem eher gutbürgerlichen Milieu zugeordnet werden kann, kommt Jesús Martín-Barbero in seiner Studie zum mexikanischen Melodram zum Ergebnis, dass es sich in dem Fall um ein Kino, welches sich aus der Vorstellung seiner Bewohner_innen entwickelt hat, handelt.
Gin/i Müller, Tom Waibel und Martin Zistler verfolgten in der gemeinsamen Konzepterstellung des neues Stückes einen ähnlichen Gedanken, dass in der queer/post/melo/dramatischen Film, Musik- und Performancearbeit genau jenes revolutionäre Potenzial parallel zur konventionellen, glattpolierten Fernsehoberfläche, als subversiver Text stecken kann.

The good virus
Im neuen, gedruckten brut-Programm findet sich zu Melodrom/The Making of a Rebellious Telenovela folgende Beschreibung und macht auf jeden Fall Lust auf mehr: „Auf der Flucht vor einem Medienkomplott gerät die Recherche des Teams zu einem Melodram über gemeinsames politisches Handeln, Liebe, Verrat und einen unbekannten „She-Guevara-Mythos“. Die Grenzen von Produktion und Telenovela verschwimmen zunehmend und zeigen ein Bild von aktivistischen Handlungsmöglichkeiten und (un-)möglichen queeren Utopien“. Was ich als unbeteiligte, stille Zuhörerin während der Probenarbeit im August immer wieder hören konnte und sich zu einem, in dem Fall aber nicht unangenehmen Fast-Ohrwurm entwickelt hatte, war der Slogan: „The end of history has come to an end […].“ Und wen/r letztes Jahr im brut der Who shot the Princess – Virus noch nicht ergriffen hat/wurde, den/die erwischt es vermutlich ab 5. Oktober 2012.

*Elisabeth Streit ist Bibliothekarin im Österreichischen Filmmuseum und Obfrau von Kinoki/Verein für audiovisuelle Selbstbestimmung

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